Plötzlich Niemand!

Also, kaum zu glauben, da trägt man das ganzes Leben seinen Gelbeutel mit sich rum, versteckt ihn vor Dieben, kümmert sich um sichere Unterbringung, gelegentlich sogar im Brustbeutel und was nicht noch alles. Dabei merkt man nicht, dass man seine komplette Identität mit sich rum schleppt.
Anfangs war ja nur -wenn überhaupt- etwas Geld drin, der Führerschein war ein riesiger grauer Lappen, der Personalausweiß passte ebenfalls nur gefaltet da rein und alles andere, was heute zum allgemeinen Gebrauch nötig ist, gab‘s noch nicht. Erst im Laufe der Zeit hat sich unsere gesamte Identität in den Geldbeutel geschlichen.
Stellen Sie sich mal vor, sie befinden sich im Ausland, ich will es nicht verkomplizieren, beispielsweiße in Süd-Tirol. Jetzt denken Sie sich mal aus, was los ist, wenn der Geldbeutel plötzlich weg ist. Da ist man plötzlich ein Niemand. Eine Null. Man kann noch nicht mal beweisen, dass man der ist, den man vorgibt zu sein! Absoluter Horror, Katastrophe, Saublöd also.
In der Börse ist alles drin, was heutzutage der Normalbürger so braucht. Führerschein, jetzt Scheckkartenformat, Personalausweiß dito, Master- und EC-Karte natürlich, Gesundheitskarte auch, die muss ja mit, falls was passiert. Alles weg.

Also klar: Wer zahlt das Hotel, wer sorgt für Bargeld fürs Bier oder Sprit zum Tanken? Also Grande Katastrophe. Da gehen dann schon mal die verbalen Gäule durch, bis ein gewisser Beruhigungseffekt eintritt und das Hirn auf scharf nachdenken wieder umschaltet. Was als tun? Wo war’s denn noch da?
So fängt man mal an zu suchen, wo man es verloren haben könnte, klauen war nicht. Also, in dem hier zu schildenden Real-Fall war die Geldbörse weg – verloren also.
Dies aber bei einer Wanderung auf der Alm, am frühen Morgen in siebzehnhundert Metern Höhe. Gemerkt habe ich das aber erst am späten Vormittag, als ich in eine Hütte für ein Bier einkehren will. Gewohnheitsmäßig gucke ich ob ich Geld dabei habe. Ich fühle nach meinem Geldbeutel, werde nicht fündig.
Der deutlich schnell ansteigende Puls gepaart mit Nervosität lässt mich sämtliche Taschen am Körper, auch die, wo sonst nie das Ding aufbewahrt wird, mehrfach durchsuchen, abklopfen, fühlen, selbst der Wanderrucksack, der mit Sicherheit nicht in Frage kommt, muss als Hoffnungsschimmer herhalten. Nix!
Also jetzt Handy raus und nachsehen ob die Checkkartensperre – Nummer gespeichert ist. OK, würde gehen. Aber hier auf der Alm? Kein Netz! Na bravo, auch das noch.
Gehirn auf sachlich umschalten.

Also zum Ausgangspunkt, in der Hoffnung, die ja bekanntlich zuletzt stirbt, die Börse noch zu finden, vielleicht liegt sie ja noch da, wo sie mich schnöde verlassen hat. Laufen im Schweinsgalopp. Zweieinhalb Kilometer mit Trainingseffekt. Aber nix. Der erste Hoffnungspunkt ist abgehakt. Der nächste ist der, dass vielleicht, mit einer geringen Chance, ein Wanderer das Ding gefunden hat und zur nächsten Hütte mit nimmt. Wieder Schweinsgalopp, jetzt zur nächsten Hütte, nämlich genau der, vor der ich den Verlust feststellte, etwa zweieinhalb Kilometer, gefühlte fünf.
Andere Wanderer wundern sich über den Schnellgänger, werden im vorüber eilen aufgeklärt. Trostvolle Worte, in allen Variationen, wie „Ach wie schlimm“ „Alles weg?“ „Geld auch?“ „Na dann viel Glück!“ und einer, gleicher Text mit Zusatz: „Ich schätze die Chance auf 30%“ worauf ich, genervt: „Ist aber mehr als beim Lotto, da gewinne ich jedes Mal, weil ich nicht spiele! “ Bis zur Hütte sind zig Wanderer aufgeklärt und ich habe die Nase schon voll von den tröstenden Worten, die mein Problem sau-gut beschreiben, aber gar nicht helfen.
Die Hütte kommt näher und aufgrund der frühen Stunde ist da so gut wie nix los. Ich traue mich kaum rein, weil dann möglicherweiße ein weiteres Stück Hoffnung abbröckelt. Dann doch: Die Wirtin bedauert, keine Geldbörse abgegeben und erspart mir weiteres Zutexten. Doch fragt sie wo sie im Falle dass… anrufen könne. Na das ist wenigstens konstruktive Hilfe und verschafft mir ein wenig Erleichterung. Aber die Hoffnung, die ja, siehe oben, noch immer nicht gestorben ist, lässt mich zur nächsten Hütte aufbrechen.
Mal sehen, wenn da kein Erfolg zu vermelden ist, muss das übliche Verfahren, von dem so mancher Pechvogel schon berichtet hat, wohl oder übel durchgezogen werden. Telefonische Eilüberweißung von der Bank an die Pension, sperren aller Karten und so weiter und so weiter. Das volle Programm halt. Ein Rattenschwanz von Wiederbeschaffungsarbeit ist das. Viel Vergnügen. Bin ja Rentner mit viel Zeit. Da wüsste ich aber Besseres.
Die in den letzten Zügen befindliche Hoffnung bringt mich flotten Schrittes weiter bergan, diesmal vielleicht nur einen Kilometer, der sich wie Kaugummi zieht. Meine Beine spüre ich nicht mehr, aber was soll‘s. Da muss ich jetzt durch.
Vor der Hütte kommt mir ein Paar gesetzten Alters fröhlich plaudernd mit Walking-Stöcken entgegen. Wenigstens hier sind also schon Wanderer eingekehrt.
Auf gleicher Höhe wie sie höre ich den Mann plötzlich sagen: “Sie sind sicher doch der Herr der den Geldbeutel verloren hat!“ Die Nachrichten verbreiten sich also auf der Alm genauso schnell wie im Wirtshaus, denn diese Leute hatte ich ganz sicher nicht überholt. Ich, wie vor den Kopf gedonnert, frage: „Woher wissen Sie das?“ „Wir erkennen Sie wieder, wir haben ihr Foto gesehen!“
Na bravo, Google ist nix dagegen, aber die Erklärung kam sofort nach:“ Da drin sitzt ein Wander-Ehepaar, das einen Geldbeutel gefunden hat, der dürfte ihrer sein!“Kurze positive Schockstarre, Dann viel der Groschen!
Der mir vom Herzen fallende Mühlstein dürfte noch im Tal seismische Verwerfungen ausgelöst haben.
Viele Dankesworte und dann ab in die Hütte! Na da fällt der nächste Mühlstein, gewissermaßen für das Nachbeben- Das ist wirklich mein Geldbeutel, den mir die freundlichen Wanderer übergeben. Sie hätten ihn, falls ich nicht aufgetaucht wäre, an meine Bank geschickt. Sie hätten nur nachgesehen wer der Unglücksrabe war und mich aufgrund der Ausweisfotos jetzt sofort erkannt. Da sieht man mal wozu die Bilder sonst noch nutze sein können! Bis ich meine Sprachlosigkeit, ausgelöst durch diesen positiven Ausgang der Geschichte, überwunde, dauert es einen Schnaps und ein Bier lang.
Dem Leser möchte ich das Weitere ersparen, ich stammele einfach nur danke, danke.

Auf Wiedersehen!
Schade, dass Sie schon gehen!
Ich würde mich freuen,
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